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Filmtext

Ausweglosigkeit und Hoffnung

Die Filme des Österreichers Ulrich Seidl sind nicht dazu gemacht, Illusionen zu erzeugen oder der Imagination einen Fluchtraum zu eröffnen. Trotz ihrer offensichtlichen Kinoqualität dienen sie eher einer verschärften Konfrontation mit der Wirklichkeit. Diese wird gleichsam in die Fiktion hinein verlängert, die so authentisch wirkt, als gäbe es keine Differenz zwischen Dokument und Erfindung. Auch Seidls neuer Film „Import Export“ besticht durch seinen Realitätsgehalt, der durch alptraumhafte Originalschauplätze, die genaue Beobachtung sozialer Verhältnisse und den Einsatz von „Nichtschauspielern“ unterstrichen wird. Stilistisch bevorzugt der Regisseur dabei einen Gestus des Zeigens, der sich einer Bewertung oder Kommentierung der dargestellten Vorgänge enthält und geduldig die Entwicklung der Szenen beobachtet. Nicht selten werden diese in der Länge ausgespielt oder an Darstellungsgrenzen geführt, die den schmalen Grat zwischen kompromissloser Abbildung und Ausstellung, Voyeurismus und Wahrheitssuche markieren.




Wie der seine Farbe wechselnde beziehungsweise tauschende Schriftzug des Filmtitels nahe legt, beschreibt „Import Export“ eine gegenläufige, fast spiegelbildliche Fluchtbewegung, ein Weggehen und ein Ankommen, das in einer Parallelmontage alternierend erzählt wird. Während Olga (Ekateryna Rak) ihren schlecht bezahlten Job als Krankenschwester und ihr kleines Kind in der Ukraine zurücklässt, um in Österreich ihr Glück zu versuchen, flieht der Security-Mann Pauli (Paul Hofmann) vor der Arbeitslosigkeit und seinen Schulden von Wien gen Osten. Zusammen mit seinem sexbesessenen Stiefvater Michael (Michael Thomas) fährt er durch die Slowakei bis in die Ukraine, um Kaugummiautomaten aufzustellen. Derweil verdingt sich Olga zunächst als Putzhilfe in einem grotesk überkandidelten Wohlstandshaushalt, später als Reinigungskraft in der geriatrischen Pflegeabteilung eines Krankenhauses.



Auf den Erfahrungskern der beiden Protagonisten zurückgeführt, sind die Zerstörungsverhältnisse in Ost und West unter jeweils anderen Vorzeichen quasi austauschbar. Paul begegnet dem, was Olga zurückgelassen hat: bitterer Kälte und Armut, verwahrlosten Lebensräumen und sexueller Ausbeutung. Dem Zwang, seinen Körper als letzte Ressource im enthemmten Kapitalismus zu verkaufen, entspricht auf der anderen Seite eine moderne, demütigende Sklavenarbeit. Olga erlebt sie unter fremdenfeindlichen, entwürdigenden Bedingungen, deren bizarres Antlitz von Seidl mit schonungsloser Direktheit und entlarvendem Blick mitunter ins Groteske gesteigert wird. So entsteht eine ebenso traurige wie befreiende Form des Witzes, in der Tragisches und Komisches zusammenfließen. Etwa wenn ein Bewerbungstrainer vom „seriösen Warten“ und von der Merkformel „LMAA“ (d. h. „Lächle mehr als die anderen!“) spricht oder ukrainische „Web Sex Girls“ sich für ihre „Kundengespräche“ das obszöne Vokabular der Fremdsprache Deutsch einpauken. Deshalb ist trotz aller Extreme Seidls pessimistische Weltsicht nicht einseitig: „Es gibt in dieser Grässlichkeit immer auch Schönheit. Es gibt in der Ausweglosigkeit immer eine Hoffnung.“



14. November 2007

 



 

Wolfgang Nierlin

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