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Filmtext

Mitteilungen eines Eingeschlossenen

Indirekt und versteckt wird das „Maritime Hôpital“ in Berck-sur-mer, einem nordfranzösischen Küstenort, eingeführt: Während sich die Vorspanntitel des Films über alte Röntgenaufnahmen legen, singt Charles Trenet sein berühmtes Chanson „La mer“. „Die Röntgenbilder zeigen, dass wir alle in unserem Körper feststecken. Alle. Wir leben mit Dingen, über die wir nie nachdenken“, sagt der New Yorker Maler, Bildhauer und Filmregisseur Julian Schnabel. In seinem preisgekrönten Film „Schmetterling und Taucherglocke“ folgt dem wehmütigen Auftakt der Schock einer radikalen Innenperspektive. Als käme der Blick aus einem dunklen, jenseitigen Verlies sieht der Zuschauer wie durch einen schmalen, verschleierten Spalt einen sehr begrenzten Wirklichkeitsausschnitt. Die subjektive Perspektive mit ihren Schärfeverlagerungen und den verschwommenen, noch instabilen Bildern eines Krankenzimmers samt Personal gehört Jean-Dominique Bauby (Mathieu Amalric), der nach drei Wochen aus dem Koma erwacht und in einem neuen, unvorstellbar veränderten Leben ankommt.



Nach einem Schlaganfall, der den Hirnstamm geschädigt hat, ist der 43-jährige Autor und Chefredakteur des Magazins „Elle“ nahezu vollständig gelähmt. Nur durch das Blinzeln mit seinem linken Auge kann er sich mitteilen, kann er Fragen bejahen oder verneinen. Denn seine rege Gedanken- und Phantasiewelt ist vollständig intakt, was der Film durch einen ausführlichen inneren Monolog wiedergibt. „Locked-in-Syndrom“ nennen Mediziner diese seltene Krankheit, deren geradezu schicksalhafte Tragik darin besteht, dass das Denken vom Kommunikationsvermögen getrennt ist. Bauby fühlt sich, als wäre er in einer Taucherglocke isoliert. Vollständig von den Handlungen, Reaktionen oder Unterlassungen seiner Betreuer und Angehörigen abhängig, erleidet er eine extreme Form der Hilf- und Wehrlosigkeit. Julian Schnabels subjektive, mit experimentellen Mitteln realisierte Inszenierung macht den Zuschauer zum Beteiligten dieser klaustrophobischen Gefangenschaft und größtmöglichen Einsamkeit.



Erst als es Bauby gelingt, mit Hilfe seiner Logotherapeutin Henriette Durand (Marie Josée Croze) zu einer neuen Sprache zu finden, wechselt der Film in die Außenperspektive. „Ich“ ist das erste Wort, das der Gelähmte durch blinzelndes Zustimmen zu den einzeln vorgetragenen Buchstaben eines nach ihrer Häufigkeit geordneten Alphabets „artikuliert“. Es ist dies zugleich der Beginn eines schier unvorstellbaren Projekts, in dessen 14-monatigem Verlauf Jean-Dominique Bauby jenes Dokument „diktiert“, das Julian Schnabel im gleichnamigen Film „Schmetterling und Taucherglocke“ höchst eindrucksvoll und emotional bewegend visualisiert hat. Indem Bauby den inneren Reichtum seiner Erinnerungen und die Schönheit der Phantasie entdeckt, gewinnt sein eingeschränktes Leben etwas von der Leichtigkeit eines Schmetterlings. Im relativierenden Blick auf seine frühere, von Schönheit und Genussstreben geprägt Existenz, erkennt er - durch Schuldgefühle und Versäumnisse hindurch - seinen menschlichen Kern und die Verbundenheit mit seiner Familie. Zugleich erzeugt der künstlerische Prozess eine Lebendigkeit, die seine Angst vor dem Tod mildert.



17. März 2008



Bundesstart: 27.3.08

 


Wolfgang Nierlin

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