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Filmtext

„Der deutsche Freund“ - Liebe in Zeiten der Revolte





Ein Zug schlängelt sich, aus der Vogelperspektive aufgenommen, durch eine hügelige, staubige Landschaft am Ende der Welt. In der weiten Einöde Patagoniens ist er zunächst kaum auszumachen. Ein Hauch von Melancholie und Wehmut liegt über diesen ersten, mit stimmungsvoller Musik unterlegten Bildern von Jeanine Meerapfels neuem Film „Der deutsche Freund“. Darin berühren sich Anfang und Ende: Die Landschaft bildet gewissermaßen einen Rahmen für die Erinnerung, die der Film aus der Perspektive seiner beiden Protagonisten erzählt. Deren Geschichte setzt ein Mitte der 1950er Jahre in Buenos Aires und umspannt nahezu drei Jahrzehnte, in denen sich das Private und das Politische unentwegt miteinander vermischen und aneinander spiegeln. Zugleich reflektiert Jeanine Meerapfel, wie sich, vermittelt durch die familiäre Herkunft der beiden, das geschichtliche Erbe und die damit verbundene Identitätssuche in ihren individuellen Biographien ablagert und diese bestimmt.




    
Als Heranwachsende sind die Nachbarskinder Sulamit (Julieta Vetrano) und Friedrich (Juan Francisco Rey) verschworene Freunde, die in ihrem Dachboden-Refugium über die Liebe zur Literatur ihre Seelenverwandtschaft entdecken. Das vornehme, geschmackvolle Ambiente mit seiner cremefarbigen Luftigkeit zeugt von einer gewissen Unbeschwertheit, die jedoch nie ganz ungetrübt ist und bald dunkleren Tönen weicht. Als ihr Vater, ein jüdischer Marzipan-Fabrikant, stirbt, muss Sulamit zusammen mit ihrer Mutter den Stadtteil und die Schule wechseln. Später, als kritische Studentin, wird sie von rechtsradikalen Kommilitonen angegriffen, während Friedrich schmerzlich erkennen muss, dass sein Vater während des Krieges ein hochrangiger Nazi war. Aus diesen Erfahrungen, zunächst in Symbolen verdichtet, resultiert eine Absetzbewegung, die die beiden in ihrer Zusammengehörigkeit und Liebe bestärkt und sie Mitte der sechziger Jahre nacheinander zum Studium nach Deutschland führt.




    
Die Frankfurter Johann Wolfgang Goethe-Universität steht ganz im Zeichen der Kritischen Theorie und der Studentenproteste gegen den Vietnamkrieg und die Notstandsgesetze. Relativ aufwändig ausgestattet, sorgt hier die Produktion mit vielen Details für ein authentisches Zeitkolorit und eine revolutionär aufgeladene Atmosphäre. Unter dem durch den großen Zeitrahmen bedingten Erzähldruck der Geschichte – hier hätte man sich manchmal einen epischeren Atem gewünscht – bleibt jedoch vieles nur schmückendes Beiwerk, politisches Streiflicht und geschichtliche Andeutung; wenngleich andererseits die Montage gerade auch über die Zeitsprünge hinweg eine geschmeidige Dynamik erzeugt. Während sich in dieser Phase Friedrich (Max Riemelt) politisch radikalisiert und in den siebziger Jahren schließlich nach Argentinien zurückkehrt, um sich dem bewaffneten Kampf einer Guerilla-Gruppe anzuschließen, zieht sich Sulamit (Celeste Cid)  – zumindest äußerlich – ins Private zurück.




    
Die Gewissenskonflikte, die daraus resultieren, werden von Jeanine Meerapfel ebenso thematisiert wie die Frage, inwieweit die unterschiedliche, geradezu gegensätzliche Herkunft der beiden Protagonisten dieses Handeln bestimmt und damit auch ihre Liebesgeschichte in einen ungewissen Schwebezustand versetzt. Die deutsch-argentinische Regisseurin, die als Kind jüdischer Eltern in Buenos Aires aufwuchs und später nach Deutschland kam, verarbeitet hier nicht nur eigene Erfahrungen, sondern formuliert auch eine bemerkenswerte gesellschaftspolitische These. Demnach erscheint Friedrichs zunehmende Militanz, die ihn bald zum Gefangenen einer brutalen Militärdiktatur macht, als Folge einer verinnerlichten (historischen) Schuld, die es durch eine Art widerständige Wiedergutmachung abzutragen gilt. Doch auch wenn am Ende des Films die Liebe der beiden eine neue Chance erhält, geht es Jeanine Meerapfel nicht um eine historische Relativierung dieser eine ganze Generation prägenden Kämpfe. „Warum erst jetzt“, fragt Sulamit lapidar ihren Geliebten, nachdem sie nach langen, zerrissenen Jahren der Trennung diesem endlich und in Freiheit wiederbegegnet. Und Friedrich antwortet: „Vielleicht ist die Zeit, die vergeht, eine Erleichterung, eine Linderung.“





19.01.2013


Wolfgang Nierlin

Info: Heidelberg, Karlstorkino: 1. bis 5.2.13 sowie am 7.2.2013;
zur Vorstellung am 1.2.13 wird die Regisseurin Jeanine Meerapfel für ein Publikumsgespräch anwesend sein.
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