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Filmtext

Verloren in Istanbul
Verloren in IstanbulIm aktuellen türkischen Autorenfilm gibt es eine Renaissance des westeuropäischen Existentialismus der 1960er Jahre. Wie in den Werken Michelangelo Antonionis zeigen sich die Wirkungen der Moderne, ablesbar an ökonomischen Krisen, Traditionsverlusten und den zweifelhaften Segnungen der Konsumindustrie, in Formen zwischenmenschlicher Entfremdung und Sinnleere. Zeki Demirkubuz’ in mehreren Filmen entfalteten „Geschichten der Finsternis“ gehören hier ebenso dazu wie die Arbeiten des 1959 in Istanbul geborenen Nuri Bilge Ceylan. Zwischen ihren jüngsten Filmen „Beklemi Odasi“ (Wartezimmer) und „Uzak“ (Weit) gibt es gleich mehrere thematische und formale Verbindungslinien. Gemeinsam ist ihren in Personalunion realisierten Low-budget-Produktionen nicht nur ein autobiographischer Ansatz, der selbstkritisch das eigene Künstlerdasein reflektiert, sondern auch eine ästhetische Entschiedenheit, die sich in langen Einstellungen, einer genauen Bild- und Tonmontage und einem Minimum an Handlung ausdrückt. Wobei sich die beiden Filmemacher ganz auf die Aussagekraft ihrer präzise komponierten Bilder verlassen.



In „Uzak“ von Nuri Bilge Ceylan gibt es deshalb mehrere Referenzen an das Œuvre Andrej Tarkowskijs, dessen „Stalker“ ausführlich zitiert wird. Für den desillusionierten Fotografen Mahmut Özdemir (Muzaffer Özdemir) sind die enigmatischen Filme des russischen Filmkünstlers nur noch eine schmerzliche Erinnerung an die eigenen, längst verlorenen Ideale. Lustlos und gelangweilt schleppt er sich durch die Routinen seines Alltags und die Widersprüche einer entfremdeten Existenz. Mahmut erlebt eine sowohl künstlerische als auch private Krise und kann seine innere Leere dabei nur notdürftig mit seelenlosem Sex, Pornographie und einer selbstgewählten Isolation kompensieren. Seine Einsamkeit hat ihn zu einem selbstbezogenen Ordnungsfanatiker gemacht; und sein fehlender Mut steigert noch seine Sprachlosigkeit. Als er in dieser existentiellen Krise von einem Vetter besucht wird, gewinnt die allgemeine Hoffnungslosigkeit eine weitere Facette. Yusuf (Mehmet Emin Toprak) kommt aus einem Dorf im Hinterland, um im verschneiten Istanbul nach Arbeit zu suchen. Aber schon seine Ankunft ist von Missverständnissen und Trostlosigkeit gekennzeichnet, und sein Gefühl der Fremdheit nimmt im Verlauf seines Aufenthalts noch zu. Allein und unbeholfen durchstreift er die winterliche Stadt und das Hafengebiet am Bosporus, wobei die Orte seine seelische Befindlichkeit widerspiegeln. Aber seine Suche nach Arbeit bleibt erfolglos; und sein Wunsch nach Nähe und Zärtlichkeit wird immer wieder enttäuscht. Vor allem das Verhältnis zu seinem Cousin Mahmut, der sich im erreichten Wohlstand eingerichtet hat und mit einem gewissen Bildungsdünkel auf seinen Verwandten aus der Provinz herabschaut, ist von Anfang an unterkühlt und distanziert. Misstrauisch belauert und kontrolliert der „Hausherr“ den ungebetenen Gast, mit dem ihn nichts zu verbinden scheint und der in vielem sein Antipode ist. Entsprechend wählt Ceylan seine Bildmetaphern: Während Yusuf, ein Fisch auf dem Trockenen, von einem besseren Leben träumt, ist in Mahmut, gleich einer verendenden Maus in der Falle, alle Hoffnung gestorben. Und doch glimmt sie noch einmal auf für die Dauer einer Zigarette und im Nachdenken über einen wortlosen Abschied, der sich als Akt einer Selbstbehauptung Yusufs verstehen lässt. (Heidelberg, Karlstorkino, bis 31.3.)
Wolfgang Nierlin

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