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Filmtext

Im Herzen der Finsternis
Im Herzen der Finsternis

Der „Kampf ums Dasein“ ist in Hubert Saupers vielfach ausgezeichnetem Dokumentarfilm „Darwins Alptraum“ ganz wörtlich zu nehmen. Allerdings nützen Tier und Mensch die optimalsten Anpassungsleistungen nichts, wenn ihr ökologisches Gleichgewicht von außen zerstört wird. Im ostafrikanischen Victoriasee, Quelle des Nils und das Herz Afrikas, lebten einmal ungefähr vierhundert Fischarten. Bis in den 1960er Jahren im Rahmen eines wissenschaftlichen Experiments ein fremder Fisch in den See gesetzt wurde: Der Nilbarsch, ein hungriges Raubtier, fraß im Laufe der Jahre fast alle anderen Fische und verwandelte den größten tropischen See der Welt in ein sauerstoffarmes, sterbendes Gewässer. Die sozialdarwinistischen Folgen dieser ökologischen Katastrophe ließen nicht lange auf sich warten. Denn im Anrainerstaat Tansania avancierten die begehrten weißen Filets des „Victoria-Barschs“ zum weltweiten Exportschlager. Fünfhundert Tonnen davon transportieren die sogenannten „Fischflugzeuge“ täglich in die Länder des reichen Nordens, während in Tansania selbst Armut und Hunger herrschen. 



Diesem Widerspruch ist Saupers rauer, schonungsloser Film, der unter extrem schwierigen Bedingungen entstand, mit subjektiver Direktheit auf der Spur. Dabei ist die Methode des österreichischen Filmemachers induktiv: Anhand der Portraits einzelner Menschen, die auf die eine oder andere Weise vom Fischhandel betroffen sind, zeigt er schonungslos eine von rücksichtsloser Ausbeutung bestimmte Lebenswirklichkeit, deren Ursachen wiederum im globalisierten Kapitalismus liegen. „Du bist Teil eines großen Systems“ heißt es auf dem Kalender von Dimond, dem Leiter der Fischfabrik in Mwanza, die tausend Arbeiter beschäftigt. Für diejenigen unter ihnen, die in den aus Baracken und Holzverschlägen bestehenden „Arbeitslagern“ am See leben, kann dieser Satz nur zynisch gemeint sein, denn er bedeutet bittere Armut. „Arm sein ist wie alt sein“, steht hier, wo der Tod allgegenwärtig ist, in großen Lettern auf einer der Türen. Denn die andere Seite der materiellen Not heißt Aids. Weil viele Kinder elternlos sind, leben sie auf der Straße, wo sie betteln, sich prostituieren und, um zu vergessen, die Dämpfe eingeschmolzener Fischverpackungen schnüffeln. Ihre Träume von einem besseren Leben haben sie sich wider alle Vernunft dennoch bewahrt. 



Über den jungen Maler Jonathan, der in seinen Bildern die Erlebnisse und Schicksale der Straßenkinder von „Fish-City“, zu denen er früher selbst gehörte, festhält, gelingen Sauper im Stil des Cinema vérité intime Aufnahmen. Trotz Nähe und Authentizität vermeidet er jedoch alles Effekthascherische und die Gefahr des Voyeurismus. Vielmehr geht es ihm bei allem Spekulativen um eine Perspektive von unten, das heißt um die Sicht der persönlich Betroffenen. Zu ihnen gehören unter anderen der kriegserfahrene und deshalb unerschrockene Raphael, der ganz archaisch mit Pfeil und Bogen das nationale Fischinstitut bewacht und dabei unter Drogen zu stehen scheint; oder die lebenslustig wirkende Prostituierte Eliza, „Freundin vieler Piloten“, die sich für zehn Dollar verkauft, vor der Kamera ein Lied über Tansania singt und später von einem australischen Kunden erstochen wird. Schließlich ist da jener russische Pilot, der die Vermutung bestätigt, dass die Cargo-Flieger auf ihrem Weg nach Mwanza öfters mit Waffen für die diversen afrikanischen Bürgerkriege beladen sind. 



So werden Armut und Unterdrückung auf zweifache Weise aufrechterhalten: wirtschaftlich und militärisch. Die Bemerkung des Lagerleiters, eines ehemaligen Lehrers, dass im Kampf um die natürlichen Ressourcen der Stärkere gewinne, bezeichnet, ins Ironische gewendet, den Alptraum dieses Films. Zu dessen schockierendsten Bildern gehören schließlich die Aufnahmen von der sogenannten Fischmüllkippe. Das, was nicht Filet ist, bleibt nämlich in Afrika und wird dort an die Hungernden verteilt.

14./16. Februar 2005


Wolfgang Nierlin

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