Seit Robert Altmans „Short Cuts“ ist das Erzählen parallel montierter Geschichten zu einem beliebten filmischen Stilmittel geworden. Auch Vanessa Jopps Großstadt- und Beziehungsfilm „Komm näher“, der in einem winterlichen, nasskalten Berlin angesiedelt ist, steht unverkennbar in dieser Tradition. Nur besitzen Zufall und Gleichzeitigkeit als Mittel der dramatischen Zuspitzung eine weit geringere Bedeutung. Jopps Geschichten über den Hunger nach Liebe, die um drei Figurenkonstellationen kreisen, sind nur lose miteinander verknüpft, das epische Panorama ist durch einen minutiösen Alltagsblick ersetzt. Wobei die einzelnen Episoden zwar thematisch verwandt sind, jedoch in unterschiedlichen Milieus spielen.
Gleich zu Beginn stößt Mathilda (Meret Becker) mit dem Polizisten Bronski (Hinnerk Schönemann) zusammen, was der Auftakt zu weiteren Begegnungen und der Beginn einer Liebe markiert. Aber zuvor muss die einsame Großstädterin erst wieder vertrauen lernen. Denn Mathilda lebt seit langem allein, schlägt sich mit miesen Jobs und schnellem, flüchtigem Sex mehr schlecht als recht durchs Leben und lässt sich deshalb öfters treiben. Ihrer Schwester Ali (Stefanie Stappenbeck) scheint es auf den ersten Blick besser zu gehen. Gerade hat die Landschaftsarchitektin einen vielversprechenden Auftrag erhalten, der sie allerdings so stark beansprucht, dass die Beziehung zu ihrem Freund David (Marek Harloff) und zu beider Sohn John (Bruno Schubert) arg darunter leidet. Ihre Liebe, von beruflichen Abhängigkeiten torpediert, wird enden; während diejenige zwischen dem Taxifahrer Andi (Fritz Roth) und der alleinerziehenden Putzfrau Johanna (Heidrun Bartholomäus), die schwere Kämpfe mit ihrer 16-jährigen Tochter Mandy (Marie-Luise Schramm) auszufechten hat, an einem hoffnungsvollen Anfang steht.
Mit viel Situationskomik und Dialogwitz erzählt Vanessa Jopp ihre Geschichten über Arbeit und Liebe, wobei ihr die Nähe zur gesellschaftlichen Wirklichkeit wichtig ist. Darin ähnelt „Komm näher“ den Arbeiten ihres Kollegen Andreas Dresen, vor allem seinem letzten Film „Sommer vorm Balkon“. Als Schauspielerfilm, der seine Handlungsstränge den Improvisationen der Mitspieler mit ihren unterschiedlichen Typen und Temperamenten verdankt, steht Jopps Film auch in lockerer Verbindung zum Improvisationskino à la John Cassavetes. Doch trotz kleinen Budgets, leichten DV-Kameras, die viel Spontaneität und eine schnelle Realisation ermöglichten, hat „Komm näher“ nicht das Aussehen einer zur Mode gewordenen Dogma-Ästhetik, sondern wirkt sehr organisiert und kalkuliert. „Ich wollte mit Leichtigkeit einen schönen Film machen, über Menschen, die Liebe und das Leben“, sagt Vanessa Jopp dazu.
12. August 2006