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Filmtext

Ins Fremdsein verbannt
Ins Fremdsein verbannt

Gleich die erste Einstellung des Films eröffnet jene Spannung, die so vielen Roadmovies eigen ist: Während die Kamera, in subjektiver Perspektive auf einen nackten Rücken gerichtet, langsam zurückfährt, fällt der Blick durch ein Hochhausfenster über die weite Pariser Stadtlandschaft. Der Austausch zwischen Innen und Außen, hier und dort, verlorener Heimat und einem fortwährenden Fremdsein, im weiteren Verlauf aber auch zwischen Gegenwart und Vergangenheit ist für Tony Gatlifs neuen Film „Exil“ konstitutiv. Der Blick gehört Zano (Romain Duris), einem jungen Franzosen algerischer Abstammung, der mit seiner Freundin Naïma (Lubna Azabal), ebenfalls ein Einwandererkind, zusammenlebt. Die beiden sind offensichtlich mittellos und fühlen sich fremd. Sie haben sich als Darsteller in Pornofilmen verdingt und sind, von zurückliegenden Ereignissen traumatisiert, Gefangene ihrer Lebensgeschichte. Gatlif zeigt sie deshalb in den ersten Bildern seines Films nackt. In dieser Nacktheit liegt aber auch eine Freiheit und eine Hoffnung. Und Zanos Blick markiert einen ambivalenten Aufbruch.



Die Dringlichkeit des Sprechens, von Gatlif zum großen Teil - wie schon in „Vengo“ und „Swing“ - einmal mehr musikalisch vermittelt, liegt über dieser eindrücklichen Exposition, die eine Zäsur beschreibt. Zano und Naïma begeben sich auf eine Reise in die Erinnerung; sie suchen Spuren einer verloren geglaubten Identität. Es ist ein Weg nach Süden: durch Frankreich, Spanien und Marokko; mit der Eisenbahn, per Bus, dem Schiff und zu Fuß. Dabei treffen sie ein junges algerisches Paar, das mit der trügerischen Hoffnung auf ein besseres Leben in entgegengesetzter Richtung unterwegs ist. Sie übernachten bei einer Gruppe fahrender Roma, tauchen in Sevilla ein in die Feier des Flamenco und arbeiten vorübergehend auf einer Aprikosenplantage. Narben und Ruinen werden zu Zeichen ihrer versehrten Identität. Stets korrespondieren die Stationen ihrer Reise mit einer inneren Sehnsucht, mit einer Lust, die aus dem Mangel und den Entbehrungen kommt. Gatlifs Film entfaltet dabei eine zauberische, fast utopische Sinnlichkeit, in der sich Natur, erotisches Spiel, rauschhafte Musik und körperliche Ekstase durchdringen. Im Hunger nach Sex und Leben spiegelt „Exil“ die Sehnsucht nach dem verlorenen Paradies als einem Garten der Lüste.



Auf Umwegen schließlich in Algier angelangt, begegnen die Liebenden zunächst einer von Bürgerkrieg und Erdbeben verwundeten Stadt, bevor sie in direkten Kontakt mit ihrer Vergangenheit treten können: Während Zano in der fast unveränderten Wohnung seiner toten Eltern von seinen Kindheitserinnerungen überwältigt wird, durchleidet Naïma in der Vision einer Wahrsagerin erneut ihr Trauma, das vermutlich von einer Vergewaltigung ausgelöst wurde. Noch einmal werden die Protagonisten mit ihrer Entwurzelung konfrontiert: den Widersprüchen zwischen Nähe und Distanz, die in den gerahmten Totalen des Films stets gegenwärtig sind. Bis schließlich in einer großartigen, minutenlang ungeschnitten gezeigten Sufi-Zeremonie die Gegensätze in eins fallen und sowohl Naïma als auch Zano, von Musik und Tanz in Trance versetzt, eine Reinigung erfahren. (Heidelberg, Karlstorkino, 8.-10.9.)



24. März 2006

 



 


 

 



 


 

 



 

Wolfgang Nierlin

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