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Filmtext

Jenseits der Hoffnung
Jenseits der Hoffnung

Ein weit ausholender Schwenk über die schmutzigen Fassaden extrem abweisender Wohnsilos eröffnet Vincenzo Marras Film „Vento di terra“. Der Blick auf das triste neapolitanische Viertel gehört dem jungen Vincenzo Pacilli. Es ist ein verstockter, von räumlicher Enge und kaltem Beton eingesperrter Blick. Entsprechend unwirtlich und trostlos sind die von Arbeitslosigkeit und Armut gekennzeichneten Lebensverhältnisse an diesem Ort. Und es ist ein Blick, den Marra unter veränderten Vorzeichen mehrmals wiederholt, der seinen Film strukturiert und der ebenso exemplarisch wie stellvertretend zu verstehen ist. Denn die herausgehobenen Einzelschicksale, von sozialer Not und sich immer weiter fortsetzenden Abhängigkeiten geprägt, erzählen von einer Wirklichkeit, die sich hier zu einem Mikrokosmos verdichtet hat.



Auch Vincenzos Mopedfahrten zu seinem Hilfsjob in einer Schlosserei und zurück gliedern die Handlung. Ein Hauch von Freiheit liegt in ihnen, denn zu Hause wird wenig gesprochen und die Blicke gehen ins Leere. Während die Mutter mit Näharbeiten dazu verdient, sucht ihre Tochter Giovanna vergeblich nach Arbeit. Als der Vater, der sein karges Einkommen in einem Fliesenlager hat, plötzlich stirbt, verstärken sich die widrigen Umstände: Der Familie wird die Wohnung gekündigt, Vincenzo geht zur Armee und die Mutter fällt in Apathie und Schwermut. Schließlich wird Vincenzo nach seiner von strengem Drill und sinnlosen Schikanen bestimmten Ausbildung, die er in Mailand absolviert, zum Einsatz in den Kosovo abkommandiert, von wo aus er krank zurückkehrt.



Die Rückschläge und vergeblichen Anstrengungen, von denen Marra ruhig und konzentriert erzählt, wirken wie ein Fluch und sind doch vor allem die Folge der Verhältnisse. „Vento di terra“, mit Laienschauspielern besetzt und im authentischen Milieu inszeniert, setzt unverkennbar die Tradition des italienischen Neorealismus fort. Immer wieder gibt es Auslassungen und ein Innehalten: Pausen, in denen die kleine und die große Geschichte nachhallen, aber auch ein Atemholen möglich erscheint. Als Vincenzo anlässlich seiner Rekrutierung mit dem Zug über Land fährt, ist das wie zum ersten Mal. Sein Blick geht ins Freie, fällt in eine sonnenbeschienene, grüne Hügellandschaft; und für Augenblicke scheint sich sein Gesicht aufzuhellen, als gäbe es die Ahnung von Glück nur im ortlosen Dazwischen des Unterwegsseins. 



Auch Pedro Costas zweieinhalbstündiger, radikal stilisierter Film „Juventude em marcha“, den der portugiesische Ausnahmeregisseur mit kapverdischen Immigranten im Lissabonner Elendsviertel Fontainhas realisiert hat, spielt in einem Zwischenreich am Rande der Gesellschaft, in einem sozialen Abseits, wo die Menschen aus der Geschichte, ja der Zeit herausgefallen scheinen. Allerdings ähnelt das traurige, auf die nackte Existenz reduzierte Dasein, das von Krankheit, Drogensucht und beklemmender Ereignislosigkeit gezeichnet ist, eher einem Leben in der Vorhölle. Die sozialen Themen haben sich längst im Existenziellen verflüchtigt, wenn die Leidtragenden ihre Geschichten von Vertreibung und Umsiedlung erzählen. Ventura, die schweigsame Hauptfigur des Films, besucht sie in ihren zerfallenen, spärlich eingerichteten Behausungen, die schwarzen Löchern gleichen, und hört ihnen zu.



Pedro Costas handlungsarmer, in extrem langen Einstellungen gedrehter Film betont diese Hoffnungslosigkeit durch die Enge und Farblosigkeit seiner Bilder, die sich von den Rändern her im Dunkeln verlieren und die archaisch und geheimnisvoll wirken. Ihre durch leichte Untersicht erzeugte Flächigkeit, in der die Figuren mit dem Hintergrund zu verschmelzen scheinen, verstärkt dies noch. Selbst der städtische Raum, die Einbettung der Schauplätze, bleibt unsichtbar oder ausschnitthaft. Als gäbe es inmitten der Leere keinen jenseitigen Ort, an dem sich die Sehnsucht verlieren könnte. Wäre da nicht die im Erzählen und Zuhören bewahrte Würde der Menschen.



21./22. Januar 2007

 



 

Wolfgang Nierlin

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