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Geflüchtete Kinder Willkommen in Deutschland - und dann?

Ein Jahr lang hat die Hamburger Filmemacherin Pia Lenz zwei Flüchtlingskinder beobachtet. Ihr Dokumentarfilm "Alles gut" berührt - und stellt eine unbequeme Frage.
Geflüchtete Kinder: Willkommen in Deutschland - und dann?

Geflüchtete Kinder: Willkommen in Deutschland - und dann?

Foto: Rise and Shine

Alles gut? Nichts ist gut. Was soll auch schon gut sein, wenn du aus Mazedonien kommst, Roma bist, dir ein Leben frei von Diskriminierung und Armut erträumst und feststellen musst, dass Deutschland bloß einen Abschiebebescheid für dich und deine beiden Kinder übrig hat.

So geht es der mazedonischen Mutter in Pia Lenz' Dokumentarfilm "Alles gut", der am Donnerstag in die Kinos kommt. In einer Szene sehen wir sie in ihrem Versteck, ein kleines Zimmer, in das sie sich mit ihren Söhnen geflüchtet hat, um dem Behördenzugriff zu entgehen. Sie telefoniert mit der Lehrerin des jüngeren Sohnes. "Djaner will kommen Schule", erklärt sie ihr in gebrochenem Deutsch. "Weinen, haben Angst."

"Alles gut" ist nicht der einzige Film, der sich damit auseinandersetzt, was nach dem sogenannten Flüchtlingssommer 2015 geschehen ist - was aus Deutschland, den Geflüchteten und ihren Hoffnungen geworden ist. Seine Stärke ist, dass er nicht den Sorgen der Erwachsenen hinterherfilmt, sondern den Blick auf die Kinder lenkt, die in ein neues, unbekanntes Leben geworfen sind. Djaner, der 8-jährige mazedonische Junge, ist der eine Protagonist des Films. "Mazedonien hat nix", sagt er am Anfang des Films, "und alle Kinder so machen, guck!" Dann macht er mit der Hand die bekannte Hals-Durchschneide-Geste.

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Dokumentarfilm "Alles gut": Kids on Abschiebung

Foto: Rise and Shine

Ghofran, ein 11-jähriges syrisches Mädchen, ist die andere Protagonistin von "Alles gut". Wir sehen ihren Vater kettenrauchen, telefonieren, darauf hinfiebern, dass Ghofran, ihre Geschwister und ihre Mutter endlich aus dem zerstörten und umkämpften Land nachkommen. "Geduld, Geduld, Geduld" sagt die Sozialamtsmitarbeiterin.

Als die Familie endlich wieder beieinander ist, ist - natürlich - auch nicht alles gut. Ghofran fremdelt, wundert sich über eine Welt, in der sich die Mädchen schminken, hat Angst, weil das Gerücht umgeht, muslimische Mädchen müssten in der Schule ihr Kopftuch abnehmen, zieht sich mit ihren Kopfhörern zurück, träumt mit syrischen Rappern von einer Rückkehr nach Aleppo.

Allmählich löst sich die Fremdheit. Während der Vater nervös Behörden und Vermieter abklappert, wird die Tochter ganz allmählich warm mit diesem Land. Lernt Radfahren, obwohl das für Mädchen in ihrer Heimat verboten sei. Singt irgendwann lauthals mit im Schulchor, in dem sie bislang nur missmutiger Zaungast war.

Vereint in Hoffnung und Angst

"Alles gut" ist eine Langzeitbeobachtung. Ein Jahr lang hat Pia Lenz die Kinder begleitet, meist alleine mit einer kleinen Handkamera, dadurch konnte sie den Familien sehr nahe kommen. Beeindruckend nah, wunderbar nah und auch schrecklich nah. "Alles gut" macht uns zu Komplizen ihrer Hoffnungen und Ängste - und das ist schwer auszuhalten, wenn am Ende die Abschiebung droht.

Während die Anstrengungen der syrischen Familie belohnt werden - sie erhalten eine Aufenthaltsgenehmigung für drei Jahre - müssen sich Djaner, sein Bruder und seine Mutter vor der Polizei verstecken. Alle Versuche, dem offensichtlich belasteten, zappeligen und zeitweilig aggressiven 8-Jährigen hier eine Zukunft zu geben, sind vergebens, so scheint es.



"Alles gut"
Deutschland, 2016
Buch, Regie, Kamera und Ton: Pia Lenz
Produktion: PIER 53 Filmproduktion
Verleih: Rise And Shine Cinema
Länge: 95 Minuten


"Alles gut" ist vor allem auch ein Film über disparate Realitäten der deutschen Gesellschaft. Da ist auf der einen Seite der sanfte, verständnisvolle Ton der Willkommenskultur - die Welt der engagierten Lehrerinnen und Sozialarbeiterinnen, eine Welt, in der Integrationsbemühungen belohnt werden, in der gut erzogene Mitschüler über ihren schwierigen Flüchtlings-Klassenkameraden sagen: "Wenn er nicht nett ist, dann muss man ihn gut behandeln, dann wird er auch nett."

Da ist auf der anderen Seite die Welt des Behördenhandelns, in der man sich wenig um Glaube, Liebe, Hoffnung schert, in der Integration kein Gnadengrund ist und in der man das Händeringen der Willkommensmenschen achselzuckend als Kollateralschaden abtut.

Wie ist das möglich, dass diese beiden Welten - eine zutiefst humane Zivilgesellschaft auf der einen und ein politisch auf Abschottung eingestellter Behördenapparat auf der anderen Seite - so merkwürdig unbeeindruckt nebeneinander weiterschnurren können? Das ist die eigentlich harte Nuss, den uns dieser tolle, traurige Film zu knacken aufgibt.

Im Video: Der Trailer zu "Alles gut"