Umgang mit Flüchtlingen Aber bitte sozialverträglich
"Das ist hier das noch beschauliche Dorf Appel", sagt Hartmut Prahm, als er den Ortskern abschreitet. "Noch", denn die Bewohner der Gemeinde im Landkreis Harburg südlich von Hamburg - 415 Einwohner, viel Backstein, kein Laden - sorgen sich, dass es mit der Beschaulichkeit bald ein Ende hat. Im ehemaligen Alten- und Pflegeheim sollen 53 Asylbewerber untergebracht werden. Prahm ist der Anführer der Bürgerinitiative, die das verhindern will. "53 ist ein Problem", sagt er.
Die Zahl der Asylanträge in Deutschland steigt deutlich. Allein im Januar 2015 waren es mehr als 20.000. Vielerorts kommt es zu Protesten, wenn Schutzsuchende eine Unterkunft in der Nachbarschaft erhalten sollen. Doch was passiert da eigentlich genau? Was denken und fühlen die Beteiligten?
Um diese Fragen zu beantworten, haben die Filmemacher Carsten Rau und Hauke Wendler für ihren Dokumentarfilm "Willkommen auf Deutsch" fast ein Jahr lang Flüchtlinge, Anwohner und Behördenmitarbeiter im Landkreis Harburg begleitet.
"Willkommen auf Deutsch": Wo ist Platz für Flüchtlinge?
Während die Filmemacher in ihrem preisgekrönten Film "Wadim" von 2011 ein einzelnes erschütterndes Flüchtlingsdrama herausgriffen, versuchen sie nun, ein größeres Bild zu zeichnen. Ohne Kommentierung und mit möglichst wenigen Mitteln der Dramatisierung lassen sie zahlreiche Protagonisten für sich sprechen.
Unterkunft für 20 Flüchtlinge pro Monat
Am einen Ende des Spektrums sind das die erzkonservativen Appelner, die sich gegen die Unterbringung wehren, weil sie 53 Flüchtlinge in ihrem Dorf nicht "sozialverträglich" finden. Eingebrockt hat ihnen die Flüchtlinge Reiner Kaminski, der Leiter des Fachbereichs Soziales des Landkreises. Ein freundlicher Büromensch mit gutem Willen, der viel von Willkommenskultur spricht, aber in erster Linie überfordert ist, irgendwo Unterkünfte für die im Schnitt 20 Flüchtlinge aufzutreiben, die ihm im Monat vom Land zugeteilt werden.
Und da ist das Schicksal der von Abschiebung bedrohten 21-jährigen Tschetschenin Larisa, die sich aufgrund des Zusammenbruchs ihrer Mutter allein um ihre fünf Brüder kümmern muss. Die Familie ist in einer alten Sparkassenfiliale in der Gemeinde Tespe untergebracht, und Larisa fühlt sich von einem Teil der Bevölkerung abgelehnt. Vervollständigt wird die Palette der Beteiligten von der guten Seele des Films, der Rentnerin Ingeborg Neupert, die aufopferungsvoll die tschetschenische Familie unterstützt.
Raus und Wendlers Film soll Grundlage für eine mehr als notwendige Debatte sein - im Anschluss an Filmvorführungen sind vielerorts Diskussionsveranstaltungen geplant. Mit ihrem Ansatz der größtmöglichen Neutralität und Ausgewogenheit zielen sie auf eine konstruktive Auseinandersetzung ab, die alle einschließt.
Darunter leidet jedoch das Erzählerische des Films. Die Anhäufung von Protagonisten grenzt an Beliebigkeit, viele der Flüchtlingsthemen sind in anderer Form schon erzählt worden. So droht der Film stellenweise zum Lehrfilm abzuflachen. Vielleicht hätte man sich stärker auf den Konflikt in Appel konzentrieren sollen, denn hier wird es interessant.
Wandel zum Wutbürger
Die Bürger, im Wesentlichen vertreten von Hartmut Prahm, SPD-Bürgermeister Kolkmann und einigen Müttern, die sich um das Wohl ihrer Töchter sorgen, sind zwar deutlich bemüht, sich vor der Kamera nicht um Kopf und Kragen zu reden. Trotzdem scheinen die bekannten, von Vorurteilen und Ängsten geprägten Denkmuster durch. Es fallen Sätze wie "Wir können nicht die Anlaufstelle für ganz Afrika sein", den jeder AfD-Wähler unterschreiben würde. Und bei der einberufenen Bürgerversammlung werden einige Appelner im Schutz der Menge durchaus zu Wutbürgern.
Dennoch macht der Film dem Zuschauer die Gut/Böse-Kategorisierung dankenswerterweise nicht ganz so einfach. Denn man muss nicht zwingend Ausländerfeind sein, um die Unterbringung von 53 Flüchtlingen in einem kleinen Dorf ohne Infrastruktur zu hinterfragen. Zudem machen die Appelner ein Gegenangebot.
Eine weitere Erkenntnis des Films ist, dass es aufseiten der Behörden trotz der monströsen Bürokratie Spielräume gibt, die beherzte Beamte wie Kaminski auch nutzen. Doch das sind Ausnahmen. Die Situation von Flüchtlingen in Deutschland bleibt problematisch, auch weil die Politik weiterhin Reformen verschleppt. Und so kommt der Film am Ende auch zum gleichen Schluss wie schon "Wadim" vor vier Jahren. Sozialfachbereichsleiter Kaminski spricht es aus: "Das Ausländerrecht bedarf einer umfassenden Reform."
Leider ist in der Zwischenzeit nicht viel passiert.
Deutschland 2014
Buch und Regie: Carsten Rau, Hauke Wendler
Produktion: PIER 53 Filmproduktion in Co-Produktion mit NDR und SWF
Verleih: Brown Sugar Films
Länge: 93 Minuten
Start: 12. März 2015
Offizielle Website: Willkommen auf Deutsch