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Filmtext

Immer vorwärts gehen

„Die Zeiten waren hart, aber modern“, lautet ein hintersinniges italienisches Sprichwort, das die junge chilenische Regisseurin Alicia Scherson (Jahrgang 1974) ihrem Debütfilm „Play“ vorangestellt hat. Als sei dies die Vorankündigung für ein darauf folgendes künstlerisches Unterfangen, das den Preis der Modernität erzählend benennt. Die Stadt als Sehnsuchtsort und Bewegungsraum liefert dafür ein Motiv unter anderen. Denn erst als das Mapuche-Mädchen Cristina (Viviana Herrera), Protagonistin dieses selbst flanierenden Films, den „Streetfighter“ in der unterirdischen Spielhölle verlassen hat, um nach einem gemächlichen Gang durch eine Einkaufspassage ins Tageslicht zu treten, setzen sich die Vorspanntitel in Bewegung. Wie Passanten schlängeln sie sich durchs Bild, treten auf und ab, schieben sich unvermittelt hinter die Bilder und verschwinden dezent darin. Bis der Filmtitel „Play“ schließlich wie ein Blinklicht gleichzeitige An- und Abwesenheit signalisiert. Unsichtbar und doch da sein, sich wie eine heimliche Beobachterin verstecken und plötzlich wieder auftauchen: Darin trifft sich Cristina mit der Großstadt, die sie umgibt.



Als Fremde, die aus dem dünn besiedelten Süden des Landes kommt, gleicht Cristinas Gang durch Santiago de Chile einem neugierigen Flanieren, das alles Neue lustvoll aufsaugt, weil es unbekannt ist. Die Streiflichter, die sie erhascht und die wie kurze Momentaufnahmen prägnante Bilder erzeugen, weisen dabei die Stadt aus als kleine Welt wiederkehrender Orte und Menschen. Unterwegs in diesem Mikrokosmos führt sie die Suche nach sich selbst zur Begegnung mit dem anderen. Als Cristina, die den alten, bettlägerigen Don Milos (Francisco Copello) pflegt und vom verdienten Geld ihrer Mutter schickt, eines Morgens eine schicke Aktentasche im Müllcontainer findet, führt die Spur über den Inhalt der Tasche zu deren Besitzer Tristán Grimberg (Andres Ulloa). Fortan folgt Cristina dem jungen Architekten wie ein Schatten, ohne sich ihm jedoch mitzuteilen. Sie eignet sich gewissermaßen wie eine Detektivin dessen Leben an und hält doch Distanz, was Alicia Scherson mit teils skurrilem Humor als Austausch- und Ausgleichsprozesse inszeniert. Wenn also Tristán das Rauchen aufgibt, fängt Cristina damit an. Zugleich befreundet sie sich mit dem Landschaftsgärtner Manuel (J. Pablo Quezada), der ihr zum verliebten Antipoden wird.



Tristán wiederum ist ein melancholischer Verlierer, der lust- und antriebslos die Kompliziertheit des modernen Lebens als Leere des Daseins empfindet. Seine Freundin Irene (Aline Küppenheim), eine schöne, gebildete, wohlhabende „Superfrau“, hat ihn verlassen; durch den Streik von Bauarbeitern ist er vorübergehend arbeitslos geworden und das Nachdenken hat ihn müde gemacht. Tristán driftet wie ein Slacker ziellos durch die Stadt, wird mit einem Kriminellen namens Walter verwechselt und deshalb überfallen und findet schließlich in der Vorstadtvilla seiner blinden, aber lebensfrohen Mutter Laura (Coca Guazzini) Unterschlupf. Deren Lover Ricardo (Jorge Alis), ein zwielichtiger Zauberkünstler und Genussmensch, fordert vom „Versager“ Tristán mehr zielgerichtetes Handeln: Man müsse mit Stärke, Ausdauer und Mut immer vorwärts gehen, fordert der Entspannungskünstler großspurig. Nur bis zu welchem Ziel kann auch er nicht sagen.



Und so scheinen die Protagonisten in „Play“ auf ihren Streifzügen und Irrwegen durch das Spiel des Lebens nach etwas zu suchen, was sie nicht kennen. Scherson übersetzt das mit eigenwilligem Humor und überraschenden Tonmontagen, die manchmal wie ein Kommentar funktionieren, in eine wenig vorhersehbare Handlung. Deren zeitliche Struktur weist leichte 
Verschiebungen und Überschneidungen auf. Dabei beweist die Filmemacherin ein sicheres Gespür für ästhetische Bildfolgen. Im nahtlosen Übergang zwischen Realität und Traum wird die allgemeine Orientierungs- und Ziellosigkeit zur Frage nach dem Wie der modernen Lebensführung. Verschärft wird diese durch die Konfrontation sozialer Gegensätze sowie durch ethnische Unterschiede. Auch wenn „Play“ ein Spiel mit der Offenheit betreibt, steht am Schluss doch der Wunsch, die geschilderte Einsamkeit zu überwinden.



7./8. Juli 2007

 



 


 

Wolfgang Nierlin

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